Interview
Hans Bless, Vorsitzender der Geschäftsleitung

«Wasser­stoff wird künftig eine zentrale Rolle spielen»

Vieles habe man als zu selbst­ver­ständ­lich betrachtet, findet Hans Bless, nicht nur die Strom­ver­sorg­ung. Er zeigt auf, wie die Energie­ver­sorg­ung un­ab­häng­iger und damit zukunfts­sicherer gestaltet werden kann.

Hans Bless, die Versorgung mit Elektrizität ist aufgrund der drohenden Strommangellage im vergangenen Winter stark ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Freuen Sie sich als Geschäftsführer eines regionalen Energieversorgers über die gestiegene Aufmerksamkeit?

Hans Bless: Dass ich mich darüber freue, ist der falsche Ausdruck. Ich würde eher sagen, es befriedigt mich, dass unsere Gesellschaft feststellt, ja sogar versteht, dass unsere sichere und stabile Stromversorgung nicht einfach so gottgegeben ist.

Sind wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu sorglos mit Strom umgegangen?

Unsere Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahrzehnten daran gewöhnt, dass nicht nur der Strom, sondern die Energieversorgung generell sowie viele weitere Dinge rund um die Uhr und in fast unbegrenzten Mengen zur Verfügung stehen. Die aktuelle Lage auf den Energiemärkten, aber auch geopolitische Entwicklungen wie der Ukraine-Krieg, haben uns jetzt eines Besseren belehrt.

… die für das Funktionieren unserer Gesellschaft aber eine zentrale Rolle spielen.

Absolut. Diese Dienstleistungen wurden in den letzten Jahren derart perfektioniert und ausgebaut, dass wir kaum mehr wahrnehmen, was eigentlich alles dahintersteckt. Stattdessen regen wir uns vielleicht auf, wenn der Zug oder der Bus mal eine Minute zu spät eintrifft. Aber welches Chaos entstehen würde, wenn der Güsel mal eine Woche lang nicht mehr eingesammelt würde, das können wir uns nicht mehr vorstellen.

Nun werden überall Aufrufe zum Energiesparen laut. ebs belohnt sogar jene Kunden, die im Winterhalbjahr ihren Stromverbrauch gegenüber dem Vorjahr um mindestens 20 Prozent reduzieren. Sind Sie als Energieproduzent denn nicht froh, wenn sie möglichst viel Strom verkaufen können?

ebs hat weder in der Vergangenheit noch heute je eine Maximierung des Stromabsatzes angestrebt. Unser Unternehmen wurde 1952 mit dem Zweck gegründet, die Wasserkräfte in unserer Region zum Wohle der Bürger im Bezirk Schwyz einzusetzen. Die Strommenge, die wir mit unseren Muotakraftwerken produzieren können, ist limitiert und fällt mehrheitlich während der Schneeschmelze im Frühling sowie im Sommer an.

Hans Bless
ebs strebe keine Maximierung des Stromabsatzes an, erklärt Hans Bless, Vorsitzender der Geschäftsleitung.

Dafür liefern die Muotakraftwerke im Winter weniger.

Ja. Und alles, was wir mehr brauchen, müssen wir zukaufen, vor allem im Winter. Das heisst also, je mehr wir unseren Kunden verkaufen, umso mehr müssen wir bei geringerer Eigenproduktion teuer einkaufen. Das wirkt sich dann eher negativ auf unseren Gesamterfolg aus, von dem unsere Eigentümer, die Bürger des Bezirks Schwyz, weniger profitieren.

Wie schätzen Sie die Lage auf dem Energiemarkt für die kommenden Jahre ein?

Das ist schwer abzuschätzen. Wir können davon ausgehen, dass sich die für die Schweiz wichtige Verfügbarkeit von Strom aus französischen Kernkraftwerken im Winter wieder verbessern wird. Aber sehr viel entscheidender wird sein, wie sich die geopolitische Lage und damit der Krieg in der Ukraine entwickeln werden. Hinzu kommt die wirtschaftliche Entwicklung der kommenden Jahre, die ebenfalls wesentlichen Einfluss haben wird.

Welche Schlüsse sollten wir aus der aktuellen Lage ziehen?

Wenn uns die aktuelle Lage eines gelehrt hat, dann ist das die Erkenntnis, dass es sinnvoll ist, sich von anderen unabhängiger zu machen. Vor allem in einem so zentralen Bereich wie der Energieversorgung.

Und weiter?

Im Bereich der Energiedienstleistungen helfen wir unseren Kunden, die Energie möglichst effizient und zielgerichtet einzusetzen. Gleichzeitig helfen wir ihnen aktiv beim Ausbau der Photovoltaikproduktion. Mit einem neuen Projekt nimmt ebs in unserer Region auch eine Pionierrolle ein: die Produktion von Wasserstoff. Die Baubewilligung liegt seit Ende letzten Jahres vor, im März hat sich ebs mit dem Investitionsentscheid nun definitiv für das Projekt ausgesprochen.

Damit wird die Wasserstoffanlage in Seewen nun Realität. Welche Chancen sehen Sie in der Technik?

Ich bin überzeugt, dass Wasserstoff in unserem künftigen Energiesystem europaweit eine sehr zentrale Rolle spielen wird. Durch den starken Zubau von erneuerbarer Energie mittels Photovoltaik und Wind werden wir vermehrt Strom zu Zeiten produzieren, zu denen er eher weniger gebraucht wird. Das heisst, wir brauchen zusätzliche Speichersysteme oder auch Möglichkeiten, diesen Strom anderweitig zu nutzen. Wasserstoff kann dies beides abdecken.

Kann Wasserstoff dazu beitragen, die Energieversorgung längerfristig zu sichern?

Wasserstoff kann einerseits sehr viel dazu beitragen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, und andererseits den aus Photovoltaik- und Windanlagen anfallenden Strom in anderer Form zu nutzen, beispielsweise als erneuerbaren Brennstoff in Fahrzeugen. Für seine zentrale Rolle in der Energieversorgung der Zukunft sprechen aus meiner Sicht vor allem zwei Gründe: Erstens haben wir keine andere Wahl, um den Stromaustausch in Europa zu bewerkstelligen, zweitens werden wir das Netto-Null-Ziel bezüglich des CO2-Austosses anders nicht erreichen können. Verschiedene emissionsintensive Sektoren können nur über Wasserstoff CO2-neutral elektrifiziert werden.

«Verschie­dene Sek­toren können nur über Wasser­stoff CO2-neutral elektri­fiziert werden.»

Wann wird der erste Wasserstoff-Lastwagen in Seewen tanken können? Was steht bis dahin noch an?

Gemäss aktuellem Projektplan sollte das ab Ende 2024 der Fall sein. Wie bei jedem Projekt dieser Grössenordnung gibt es Hundert verschiedene Details, die zu klären sind. Zurzeit laufen noch Gespräche mit weiteren potenziellen Abnehmern. Aktuell bestehen auch sehr lange Lieferfristen. Einerseits können die für die Anlage notwendigen Komponenten nicht gleich um die Ecke eingekauft werden, andererseits ist die Anzahl der Unternehmen, die solche Anlagen überhaupt bauen können, noch sehr überschaubar.

Vorsitzender der Geschäftsleitung
Hans Bless will den Mitarbeitenden möglichst viele Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der ebs-Gruppe anbieten können.

ebs bietet mit Strom, Kommunikation und Gas ein breites Produkteportfolio. Wie wichtig sind gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um neben dem Tagesgeschäft Projekte wie die Wasserstoffanlage stemmen zu können?

Gut ausgebildete und topmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind das wichtigste Gut eines Unternehmens, egal welcher Branche. Hinzu kommt, dass ein breites Produktportfolio wie jenes von ebs auch ein breites und gleichzeitig spezialisiertes Wissen voraussetzt. Mit einem umfangreichen Aus- und Weiterbildungsprogramm wollen wir nicht nur Wissen und Kompetenz stetig erweitern, sondern unseren Mitarbeitenden Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb unseres Unternehmens aufzeigen und anbieten. Diese sowie ein attraktiver Arbeitsplatz und eine hohe Zufriedenheit sind aus meiner Sicht die wichtigsten Faktoren, damit Mitarbeitende dem Unternehmen treu bleiben und wir als Firma neue und innovative Projekte erfolgreich stemmen können.

Viele Branchen beklagen einen Mangel an Fachkräften. Wie sieht es bei ebs aus?

Natürlich betrifft der Fachkräftemangel auch die ebs-Unternehmen. Bisher ist es uns aber immer gelungen, die gesuchten Fachkräfte nicht nur zu finden, sondern sie auch für uns zu verpflichten. Täglich arbeiten wir an der weiteren Verbesserung der Arbeitsbedingungen und flexibleren Arbeitszeitmodellen. Gerade in Bezug auf letzteres stellen wir fest, dass junge Berufsleute zunehmend nur noch Teilzeit arbeiten wollen. Als Unternehmen sind wir gut beraten, unsere Modelle diesen Bedürfnissen anzupassen.

«Junge Berufs­leute wollen zunehm­end nur noch Teil­zeit ar­beit­en.»

Was tut ebs damit die Suche nach Fachkräften weiterhin erfolgreich bleibt?

Dass wir Fachkräfte zeitnah rekrutieren können, zeigt uns, dass wir mit unseren Konzepten auf dem richtigen Weg sind. Es bleibt aber eine tägliche Herausforderung. Und es bedeutet für ebs, dass Aus- und Weiterbildung nicht nur Themen für die Personalabteilung sind, sondern dass sich die gesamte Geschäftsleitung damit befassen muss.

Wie viel investiert ebs denn in Aus- und Weiterbildung der eigenen Leute?

Im letzten Jahr haben wir über 200’000 Franken in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investiert. Der Durchschnitt über die letzten fünf Jahre beträgt rund 155’000 Franken jährlich, darin sind aber auch die beiden Jahre berücksichtigt, in denen aufgrund der Pandemie nur wenige externe Kurse stattfinden konnten.